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Unter dem Brennglas des Ausnahmezustands zeigen sich die gesellschaftlichen Widersprüche und Konflikte in aller Deutlichkeit. Zum Beispiel in Italien. Die weitgehende Stilllegung des öffentlichen Lebens hat die sowieso schon prekäre Situation der informell Beschäftigten weiter verschärft; gerade im Süden des Landes. In mehreren Gefängnissen gab es Aufstände. Die Regierung von Giuseppe Conte reagierte auf die sich abzeichnenden sozialen Spannungen mit der Verteilung von Einkaufsgutscheinen und Essenspaketen – und postierte Polizisten vor den Lebensmittelläden.
Gleichzeitig wächst der Unmut auf andere europäische Länder. Deren Unterstützung erschöpfte sich bis jetzt in Solidaritätsbekundungen ohne Substanz. Die deutsche «Bild-Zeitung» schrieb zynisch: «Wir sind mit euch! Und wir kommen wieder, wenn alles vorbei ist.»
Der paralysierte Blick auf Ansteckungskurven und die teils dramatischen Zustände in norditalienischen Spitälern übersieht nur zu leicht die bereits bestehenden gesellschaftlichen Widersprüche, die sich in der aktuellen Krise akzentuieren.
Maurizio Coppola ist Sozialwissenschaftler und lebt in Neapel. Der Sozialanthropologe David Loher spricht mit ihm über den italienischen Alltag im Ausnahmezustand, die gesellschaftlichen Konflikte und die fehlende europäische Solidarität mit dem Land in Europa, das zuerst und neben Spanien am härtesten getroffen wurde von der Corona-Krise.